Adolf Freiherr von Wangenheim: „Alte und neue Landschaften in Niedersachsen“

Mitglied des Landtags und Präsidierender Landschaftsrat der Calenberg-Grubenhagenschen Landschaft und Vorsitzender der Verwaltungsräte der Versicherungsgruppe Hannover
gehalten am 7.9.1993 auf dem Klosterkammertag 1993 im Kloster Barsinghausen

Herausgegeben mit freundlicher Genehmigung des Verfassers vom Landschaftsverband Südniedersachsen e. V. Der Vortrag kann für den Ausdruck auch in einer PDF-Datei heruntergeladen werden. Die Zwischenüberschriften und die Gliederung wurden vom Herausgeber eingefügt.



Die Begriffe „Landschaft“ und „Landschaftsverband“

Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Der Herr Präsident hat mir ein Thema aufgetragen, das zum Verständnis einiger Vorbemerkungen bedarf:

„Alte und neue Landschaften in Niedersachsen“

Wenn Sie erwartet haben sollten, jetzt etwas über in unserem Land begründete oder geplante Nationalparks etwa im Wattenmeer, im Harz oder in der Elbtalaue zu hören, dann muß ich Sie leider enttäuschen. Denn diese hochaktuellen und heftig umstrittenen Themen wären sicher hervorragend geeignet, dem letzten Redner unserer bisher so harmonisch verlaufenen Festveranstaltung noch einmal kritische Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Auch geht mein Auftrag nicht dahin, Ihnen etwas über die Entstehung, Pflege und Entwicklung unserer Heide- und Moorlandschaft zu berichten. Auch das wäre ein vieldiskutiertes, aktuelles Thema.

Uns soll heute ein anderer Landschaftsbegriff beschäftigen, der aber eine Besonderheit unseres Landes darstellt.

Unter der Bezeichnung ‚Landschaft‘ haben sich einerseits anders als in anderen deutschen Ländern landständische Corporationen bis heute als öffentlich-rechtliche Körperschaften erhalten.

Teils in Fortentwicklung, teils unabhängig von historischen Bezügen haben sich andererseits in unterschiedlicher Rechtsform neue regionale Einrichtungen gebildet, um bestimmte öffentliche Aufgaben wahrzunehmen, die im Grenzbereich staatlicher kommunaler und privater Zuständigkeit liegen. Auch diese bezeichnen sich als Landschaften oder Landschaftsverbände.

Aus dieser zweiten Vorbemerkung mögen Sie erkennen, daß unser Thema sehr landesspezifisch ist und notwendigerweise

1. einen Blick in die Vergangenheit,

2. eine Schilderung der Gegenwart und

3. einen Ausblick in die Zukunft

erforderlich macht.

1. Ein Blick in die Vergangenheit

Die Ständeordnung im mittelalterlichen Staat

Zum ersten Teil gibt D. Johann Georg Krünitz in seiner ökonomisch-technologischen Enzyklopädie über das „Allgemeine System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirtschaft und der Kunstgeschichte“, gedruckt 1794 bei Pauli in Berlin, im 62. Band der von „Landschule bis Landstraße“ handelt, von Seite 233-317, erschöpfend Auskunft.

Da es meine Zeit nicht erlaubt, Ihnen diese Mitteilungen, vor nun genau 200 Jahren verfaßt, vorzutragen, muß ich mich auf einige wenige Bemerkungen beschränken.

Die Besonderheit unseres Landes ist es also, daß sich Landstände als historische Landschaften über alle Umwälzungen hin fast unverändert aus dem ausgehenden Mittelalter bis in unsere Tage erhalten haben. Sie repräsentieren damit eine fortdauernde Verfassungstradition über mehr als fünf Jahrhunderte.

Das ständische Wesen ist eine ausgesprochen abendländische, europäische Erscheinung. Seine Wurzeln liegen im zerfallenden Karolinger Reich. Wesen und Ursprung sind auf das engste mit dem Aufbau des Territorialstaates verbunden. Das Lehnswesen wurde zunächst die Form der Organisation großer Räume im aristokratischen, dezentralisierten Personenverbandsstaat. Hier benötigte der Landesherr zur Durchsetzung seiner Herrschaft in einem möglichst umschlossenen Gebiet die Mitwirkung der eigenberechtigten lokalen Herrschaftsgewalten.

Adel, Geistlichkeit und Städte stellen daher die Grundlage für die Entstehung von Landständen dar und machen ihr Wesen aus.

In unserem niedersächsischen Raum fällt diese Entwicklung mit der Auflösung des alten Herzogtums Sachsen nach dem Sturz Herzogs Heinrichs des Löwen zusammen. Es bilden sich eine große Zahl weltlicher und geistlicher Gebiete, in denen es, wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung, überall zur Bildung von organisierten Ständen kommt, die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts als dauernde Verfassungseinrichtung zur Vertretung des Landes angesehen werden können. So wie sich Landesherrlichkeit und Ständewesen gleichzeitig entwickeln, so gehören Landeshoheit und Landschaft zusammen.

Man kann den spätmittelalterlichen Territorialstaat als dualistisch bezeichnen. Landesherr und Landschaft sind zwei verschiedene Gewalten, die miteinander in Rechtsbeziehung treten. Die stärkste Ausprägung dieses Dualismus zeigt sich auf dem Gebiet des Steuerwesens, wo häufig eine landesherrliche und eine landschaftliche Finanzverwaltung nebeneinander stehen. Zu den Rechten der Landschaft gehören ferner: Mitwirkung bei der Gesetzgebung, Präsentation zu den Gerichten, Zustimmung vor der Teilnahme an Kriegen und dem Abschluß von Bündnissen, zur Teilung des Landes, zur Abtretung oder Vereinigung von Landesteilen.

Ständewesen und Absolutismus

Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, nicht zuletzt unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges, kommt es im Absolutismus zur Steigerung der landesherrlichen Gewalt, verursacht durch die Errichtung stehender Heere und die Anstellung eines festen Beamtenkörpers. Damit einher geht die Durchsetzung des Römischen Rechts. Diese staatliche Entwicklung macht die Einführung dauernder und fester Steuern erforderlich. Die Einführung der Primogenitur macht den Landesherrn vom Huldigungsrecht der Landtage unabhängig.

Damit setzt ein Rückgang der ständischen Mitwirkung ein, die Landtage verlieren an Bedeutung. Als Zeitpunkt dieser entscheidenden Wende könnte man das Jahr 1648 mit dem Abschluß des Westfälischen Friedens angeben.

Hierzu stellt Dr. Krünitz folgendes fest:

„Durch den westphälischen Frieden hatten zwar die Landstände eine neue Stütze bekommen, indem er ihnen die Longo usu abtenta privilegia et jura bestätigte. Der Reichsschluß von 1670 war ihnen umso nachteiliger, denn wenn der Kaiser die mehrheitlich vorgetragene Forderung der Reichsstände genehmigt hätte, so würde es ganz um die Landstände getan gewesen sein. Denn nun hätte der Fürst seine Untertanen nach eigenem Gefallen mit Steuern und Schatzungen aller Art belegen können.

Welch ein Glück für Deutschland, daß der Kaiser durch den wahrhaft patriotischen Widerspruch einiger Fürsten, vornehmlich der Fürsten aus dem Hause Braunschweig, veranlaßt, seine Einwilligung zu dem projektierten schädlichen Reichsschluß so standhaft versagte und dadurch von neuem den Satz, daß Steuern nicht anders als mit gutem Willen der Untertanen auferlegt werden können, bestätigte!“

Die Landschaften seit dem 18. Jahrhundert

Als um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Idee der Volkssouveränität und ihrer Repräsentation aufkommt, entsprechen die Landschaften, deren Mitglieder oder Kurien kraft eigenen Rechts die Vertretung des Landes wahrnehmen, nicht den Vorstellungen der Modernen. Und so kann es nicht verwundern, wenn in den Verfassungskämpfen des 19. Jahrhunderts sowohl die konservativen Anhänger der Monarchie als auch die liberalen Anhänger der Repräsentativverfassung in den Landschaften ihre Gegner sehen.

Natürlich wäre es reizvoll, über das besondere Schicksal dieser Landschaften im 19. und 20. Jahrhundert hier Einzelheiten vorzutragen, aber ihre Geduld und meine Zeit würden dafür nicht ausreichen. Daher möchte ich den allgemeinen Blick in die Vergangenheit hier abschließen und darf den Interessenten auf ein eingehendes Werk verweisen, in dem Dr. Wolf Rüdiger Reinicke auf Initiative von Professor Werner Weber eine Darstellung der Verfassungsgeschichte und der gegenwärtigen Rechtsstellung der Landschaften und Ritterschaften in Niedersachsen gegeben hat. (Erschienen 1975 im Verlag Otto Schwarz, Göttingen, als Band 91 der Reihe Göttinger Rechtswissenschaftlicher Studien, herausgegeben von der Juristischen Fakultät der Georgia-Augusta zu Göttingen.)

Die historischen Landschaften im heutigen Niedersachsen

Nun ein kurzer Überblick über die einzelnen historischen Landschaften. Ich nenne zunächst die Welfischen Kerngebiete, wo wir die Lüneburger und die Calenberg-Grubenhagensche Landschaft unterscheiden. Im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel hatte sich aus der Landschaft alter Art allmählich eine moderne Landesvertretung als Landtag gebildet, der bei der Gründung des Landes Niedersachsen seine Rechte an den Niedersächsischen Landtag abtreten mußte.

Zu den hannoverschen Landschaften gehören die Hoya-Diepholzsche Landschaft und die Landschaft des ehemaligen Herzogtums Bremen in Stade und schließlich die Landschaften der ehemaligen Bistümer Osnabrück und Hildesheim. Wie nicht anders zu erwarten, haben die Ostfriesen ihre eigene Geschichte gemacht. Nachdem die Ostfriesische Landschaft bis ins 20. Jahrhundert die Entwicklung der hannoverschen Landschaften geteilt hat, konnte sie sich den nationalsozialistischen Bestrebungen zum Einheitsstaat nicht entziehen und erhielt 1942 eine Verfassung unter Berufung zur „völkischen Kulturträgerin“. Diese Entwicklung wurde nach 1945 in eine demokratische Organisationsform übergeleitet.

Das Emsland war ein landschaftsfreier Raum geworden, nachdem die Bemühungen im 19. Jahrhundert zur Wiederbelebung alter landständischer Relikte im Herzogtum Arenberg und in den Grafschaften Lingen und Bentheim keinen Erfolg hatten. Ein zwischen den Jahren 1819 und 1850 geplanter Anschluß an die Osnabrücker Landschaft fand ebenfalls nicht die Zustimmung der Betroffenen.

Der hannoversche „Sonderweg“

Nach allem, was ich bisher ausführte, meine sehr verehrten Damen und Herren, werden Sie dieser Einrichtung vielleicht ein freundlicheres Interesse entgegenbringen, aber die Frage nach der Bedeutung in unserer Zeit ist so wenig hinreichend beantwortet wie die Erklärung dafür, warum solch‘ kuriose Einrichtungen in der ehemaligen Provinz Hannover überhaupt bis heute überlebt haben. Hierauf gibt es zwei Antworten:

Nachdem die politische Stellung weitgehend aufgegeben wurde, erwuchs den Landschaften als Träger der von ihnen ins Leben gerufenen Brandversicherungseinrichtungen eine neue Aufgabe im wirtschaftlichen Bereich. Daneben konnten sie – soweit ihre Mittel das erlaubten – Aufgaben in Kultur und Heimatpflege übernehmen.

Die zweite Antwort ist formaler Natur, aber vielleicht für die politische Betrachtung von nicht geringer Bedeutung. Der wirkliche Grund für die Fortexistenz der hannoverschen Landschaften muß – so verblüffend das zunächst erscheinen mag – in ihrem Festhalten an der ständischen Organisation und ihrem weitgehenden Verzicht auf Anpassung an die jeweils herrschende Staatsform gesehen werden. Die Grundlagen dafür reichen bis 1819 zurück. Mit der Einrichtung der allgemeinen Ständeversammlung im Königreich Hannover waren die ständischen Korporationen der einzelnen Landesteile von der allgemeinen Entwicklung abgetrennt worden. Deshalb konnten die Landschaften 1866 den Untergang des hannoverschen Staates überleben und konnten anschließend weder in die Staatsverwaltung noch in die Selbstverwaltung Preußens eingegliedert werden. Zur Anpassung an das Dritte Reich vollends ungeeignet, ging man unter scheinbarer Übernahme des Führerprinzips auf Tauchstation und konnte damit auch diese Epoche unserer Geschichte unversehrt überstehen.

Die Verfassung der historischen Landschaften

Lassen Sie mich zum Schluß dieser ersten in die Vergangenheit gerichteten Betrachtung noch einmal einen Blick auf das besondere Kennzeichen der Landstände, nämlich die Kurialverfassung werfen. Hierzu sagt uns der eingangs erwähnte Dr. Krünitz folgendes:

„In deutschen Fürstenthümern und Grafschaften bestehen die Landstände insgemein aus dem Adel, der höheren Geistlichkeit und den ansehnlichsten Städten. Bisweilen machen auch nur die Ritterschaft und die Städte, oder auch Prälaten, Städte und Ämter dieselben aus. Das Ansehen und die Rechte derselben sind, nach der Verschiedenheit der Länder, oder auch nach den Verhältnissen der Macht des Landesherren sehr verschieden. Der Ursprung derselben liegt in der ältesten Verfassung Deutschlands, da jeder Hausvater an Landes- und Regierungsgeschäften teilnahm.

Ungeachtet diese Verfassung einige zeitlang ziemlich eingeschränkt und verändert war, so hob sie sich doch, durch den Untergang der Karolinger und durch den Untergang der alten Nationalherzogtümer wieder empor. Die neuen Fürsten, die nicht mehr als kaiserliche Amtleute, sondern als Herren regieren wollten, mußten gegen ihre Untertanen nachgebend sein; und diese wußten sich Rechte und Vorteile auszubedingen, wenn sie dieses oder jenes Begehren ihres Fürsten bewilligen sollten.“

Diese allgemeine Schilderung trifft sehr genau auf die beschriebenen alten Landschaften zu, wie sie sich in Hannover erhalten haben.

Daraus erklärt sich, daß der Abt von Loccum laut Verfassung der jeweilige Präsident der Calenberg-Grubenhagenschen Landschaft ist und der Präsident der Klosterkammer seine Calenberger Klöster in der Landschaft vertritt. Mit dem Präsidenten der Georgia Augusta-Universität Göttingen und den Landessuperintendenten Hannover und Göttingen bilden diese Prälaten mit der Calenberger Ritterschaft die erste Kurie.

Unter Führung der Landeshauptstadt, vertreten durch ihren Kämmerer, bilden heute 27 Städte die zweite Kurie.

Die dritte Kurie wird gebildet aus z. Z. 22 durch ihre Kreistage gewählte Vertreter des ländlichen Grundbesitzes, der nicht schon in der ersten Kurie vertreten ist.

Diese Einrichtung einer Bauernkurie ist eine Folgerung aus der Beseitigung der Grundherrschaft bzw. des Obereigentums am ländlichen Grundbesitz im Königreich Hannover durch die Gesetzgebung in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts.

Die Verfassung der Landschaft wurde daher 1863 unter Beibehaltung von 3 Kurien geändert.

Die erste Kurie bestand seitdem aus den Standesherren Grafen Stolberg, der Prälatur und der Ritterschaft. Die zweite aus 24 Vertretern der Städte und die dritte aus 21 Vertretern des befreiten ländlichen Grundbesitzes.

Diese Verfassung gilt mit wenigen Ausnahmen bis heute.

Die Landschaft faßt ihre Beschlüsse dergestalt, daß jede Kurie nach vorheriger interner Beratung nur einheitlich, d.h. mit .1 Stimme votieren kann. Innerhalb der Kurien entscheidet die Mehrheit der Anwesenden.

Für unser Land dürfen wir feststellen, daß der Gedanke der Selbstverwaltung immer besondere Ausprägung gefunden hat und wir in dieser Beziehung über ein reiches Erbe verfügen, zu dem neben mancherlei späteren Einrichtungen die historischen Landschaften im ursprünglichen Sinne gehören. Damit verfügen wir über eine Kontinuität unseres Verfassungslebens, wie es wohl in Europa einmalig sein dürfte.

Damit bin ich am Ende meines ersten Teils, dem Blick in die Vergangenheit, der – wenn auch oberflächlich – zehn Jahrhunderte einbeziehen mußte, und komme zur Gegenwart und damit zum Teil 2 meines Berichts.

2. Die Schilderung der Gegenwart

Moderne „Landschaften“

Neben den beschriebenen 6 alten hannoverschen Landschaften und als siebenter der Ostfriesischen Landschaft – deren Fortentwicklung zu einem öffentlich-rechtlichen Kommunalverband ich schon erwähnt habe -, hat sich 1974 im Oldenburger Land nach ostfriesischem Vorbild die Oldenburger Landschaft gebildet. Auch ihr wurde der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen.

1979 gründeten der Emslandkreis und der Kreis Grafschaft Bentheim mit dem Emsländischen Heimatverein eine Emsländische Landschaft.

Dem folgte im Jahr 1990 die Gründung einer Braunschweigischen Landschaft durch die Städte Braunschweig und Salzgitter sowie die Landkreise Goslar, Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel.

Die Gründung einer Schaumburger Landschaft im November 92 ist das letzte Ereignis, über das zu berichten ist. Hier fanden sich der Landkreis Grafschaft Schaumburg mit seinen Städten und Gemeinden sowie Verbänden und Vereinen zusammen, um kulturelle und historische Belange im Gebiet der Grafschaft Schaumburg, wie sie bis 1640 bestand, zu fördern: und zu pflegen.

Während Ostfriesland und Oldenburg durch Gesetzgebungsakt Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, bestehen die Emsländische, die Braunschweigische und die Schaumburger als eingetragene Vereine.

Für alle diese Gründungen gilt als Zielsetzung: Wahrung und Förderung der kulturellen und historischen Belange ihrer Region.

„Landschaftsverbände“

Diese Aufgabenstellung wurde auch nach Maßgabe ihrer vorhandenen Möglichkeiten von den historischen Landschaften aufgenommen. Um aber dabei zu einer erwünschten Zusammenarbeit mit den Landkreisen zu kommen, wurden mit diesen in der Form des eingetragenen Vereins regionale „Landschaftsverbände“ gegründet.

Den Anfang machte hier die Bremen-Verdener Landschaft in Stade. Im Jahr 1963 gründete die altständische Landschaft mit den Landkreisen, Städten sowie den Geschichts- und Heimatvereinen im Regierungsbezirk Stade den Landschaftsverband Stade e.V. Diese erste derartige Gründung eines eingetragenen Vereins verdankt ihre Entstehung der Initiative des damaligen Präsidenten Thassilo von der Decken, der gleichzeitig Oberkreisdirektor des Landkreises Stade war.

In Hildesheim bildeten Landschaft und Stadt 1971 ihren Landschaftsverband, dem erst 1986 der Landkreis Hildesheim beitrat.

1985 gründeten Landschaft, Stadt und Landkreis Osnabrück unter Beteiligung des Historischen Vereins, des Museums und Kunstvereins, des Naturwissenschaftlichen Vereins sowie dem Osnabrücker Heimatbund ihren Osnabrücker Landschaftsverband. Universität und Fachhochschule sind weitere Mitglieder geworden.

Nach langen Vorverhandlungen kam es 1989 zur Gründung eines Landschaftsverbandes in Südniedersachsen durch die Landkreise Göttingen, Holzminden, Northeim und Osterode, die Stadt Göttingen und die Calenberg-Grubenhagensche Landschaft. Den Vorsitz übernahm deren Präsident, der Loccumer Abt Prof. D. Lohse.

1990 gründeten die Lüneburger Landkreise Celle, Gifhorn , Harburg, Lüchow-Dannenberg, Lüneburg, Soltau, Fallingbostel, Uelzen und die Städte Celle, Lüneburg und Wolfsburg mit der alten Lüneburger Landschaft einen Landschaftsverband mit der Bezeichnung: „Regionale Kulturförderung im ehemaligen Fürstentum Lüneburg e.V.“

Dem folgte schließlich ein Verband Weser-Hunte für die Landkreise Diepholz und Nienburg unter Beteiligung der Hoya-Diepholzschen Landschaft.

[Anmerkung des Herausgebers: Die Schilderung gibt die Verhältnisse im Jahr 1993 wieder. Seitdem hat es weitere Gründungen und Namensänderungen gegeben. Einen aktuellen Überblick gibt die Internetseite www.allvin.de.]

Das Mosaik der Landschaftsverbände und modernen Landschaften

Bei aller Vielfalt im einzelnen gibt es nun mit Ausnahme der Landeshauptstadt Hannover und ihrem unmittelbaren Einzugsbereich 11 Landschaften und Landschaftsverbände als regionale kulturfördernde Zusammenschlüsse, die ich zum besseren Verständnis geordnet nach Regierungsbezirken noch einmal nenne:

Im Bezirk Braunschweig 2
– die Braunschweigische Landschaft und
– den Südniedersächsischen Landschaftsverband

im Bezirk Hannover 3
– den Hildesheimer und
– den Weser-Hunte-Landschaftsverband sowie
– die Schaumburger Landschaft

im Bezirk Lüneburg 2
– den Stader Landschaftsverband und
– den Lüneburger Kulturförderverband in Uelzen

im Bezirk Weser-Ems 4
– die Ostfriesische Landschaft
– die Oldenburger Landschaft
– die Emsländische Landschaft und
– den Osnabrücker Landschaftsverband

Aus historischer Sicht zeigt sich folgendes Bild:

Im alten Hannover finden wir 6 neue Landschaftsverbände jeweils im Gebiet der entsprechenden historischen Landschaften und mit diesen verbunden dazu die neue Emsländische Landschaft und die Ostfriesische als Nachfolgerin der historischen Landschaft.

Daneben 3 neue Gründungen in den früheren Ländern Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe.

Alle haben sich übereinstimmend die Aufgabe gestellt, in ihrer Region das kulturelle Leben und die Pflege des Heimatgedankens zu fördern. Das geschieht auf dem Gebiet der Künste, der Geschichte sowie der heimatgebundenen Literatur, der plattdeutschen Sprache und des heimatlichen Brauchtums und nicht zuletzt des Natur- und Denkmalschutzes.

Lediglich die Landkreise Hannover und Hameln-Pyrmont sind bisher keinem Landschaftsverband angeschlossen. Zu den elf genannten Landschaften und Landschaftsverbänden tritt seit 1992 noch der Kulturverband Harz (Harzer Landschaft) hinzu. Er stellt einen Sonderfall dar, weil zu ihm auch Landkreise in Sachsen-Anhalt und Thüringen gehören; auf niedersächsischer Seite sind die Landkreise Goslar und Osterode am Harz Mitglied.

Damit habe ich meinen zweiten Teil abgehandelt und hoffe, daß trotz der geschilderten Einzelheiten Übersicht und Durchblick ermöglicht wird.

Unverkennbar hat in unserem vielgestaltigen Land das Bedürfnis nach kultureller Pflege unter Beachtung regionaler Besonderheiten diese Gründungen veranlaßt und begleitet.

Wenn ich nun in einem dritten Abschnitt einen Blick auf die zukünftige Entwicklung werfen möchte, dann darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf einen Aufgabenbereich richten, der die historischen Landschaften angeht.

3. Ein Ausblick in die Zukunft

Bedeutung der Landschaftlichen Brandkasse/VGH

Ich denke dabei an deren Rolle als Träger der Landschaftlichen Brandkasse und der Provinzial Lebensversicherung Hannover, die heute unter dem Namen VGH – Versicherungsgruppe Hannover – einen wichtigen Faktor im Wirtschaftsleben Niedersachsens darstellen. Auch hier gibt es für Ostfriesland mit der Ostfriesischen Brandkasse eine besondere Entwicklung in der Trägerschaft der Ostfriesischen Landschaft.

Das besondere bei diesen öffentlich-rechtlichen Versicherungen ist die Tatsache, daß eben die Landschaften und nicht der Staat Gründer und, bis heute Träger der Unternehmen sind.

In Braunschweig und Oldenburg waren es dahingegen die Länder. Damit ist als deren Rechtsnachfolger heute das Land Niedersachsen Träger der öffentlichen Versicherungen in Braunschweig und Oldenburg. Eine Besonderheit dieser Unternehmen und der Ostfriesischen ist das dort derzeit bestehende Brandversicherungsmonopol.

Durch eine verbindliche Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind solche Monopole nicht mehr zulässig und das war der Anlaß für die Landesregierung, im August dieses Jahres den Entwurf eines Gesetzes über die öffentlichrechtlichen Versicherungsunternehmen dem Landtag vorzulegen.

Spenden der VGH an die Landschaftsverbände

Ich erwähne diesen Gesetzentwurf deshalb, weil dort eine Bestimmung vorgesehen ist, die für die Landschaften und Landschaftsverbände Im Sinne unseres heutigen Themas von Bedeutung ist. Dieser Satz lautet:

„Die Satzung kann bestimmen, daß in angemessenem Umfang Aufwendungen für gemeinnützige Zwecke zulässig sind.“

Damit bestünde eine klare Rechtsgrundlage für eine schon z. Z. geübte Praxis, den Landschaftsverbänden Mittel für ihre kulturellen Aufgaben zu geben.

Der Umfang der denkbaren Leistungen in der Zukunft hängt für die Landschaften und Landschaftsverbände von ihren Finanzierungsmöglichkeiten ab.

Die möglichen Einnahmen bestehen aus Beiträgen der Landkreise und Gemeinden, die in unterschiedlicher Höhe, aber angesichts, knapper öffentlicher Kassen nur in bescheidenem Rahmen erwartet werden können.

Abgesehen von den Ostfriesischen und Oldenburgischen Landschaften, die besondere Landesaufgaben wahrnehmen und dafür entsprechende Landesmittel erhalten, fördert das Land die einzelnen Verbände mit einem Jahresbetrag von jeweils 100.000 DM.

Die Zuwendungen der VGH sind bei den Landschaftsverbänden der größte Einnahmeposten und sind daher für die Leistungsfähigkeit von entscheidender Bedeutung.

Bei einigen, bisher finanzierten oder geförderten Projekten konnten auch Bundesmittel, vor allem im ehemaligen Zonenrandgebiet beschafft werden. Eine Möglichkeit, die inzwischen nicht mehr erwartet werden kann. Das Bemühen der Landschaften muß daher in Zukunft darauf gerichtet sein, zur Finanzierung ihrer Vorhaben private Spenden einzuwerben. Dazu gehört eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit und die Pflege der Kontakte zur regionalen Wirtschaft. Kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte und Ausstellungen bieten dazu geeignete Möglichkeiten und finden in vielgestaltiger Form erfolgreich statt.

Zusammenfassend kann man heute feststellen:

Fazit

Alte und neue Landschaften in Niedersachsen bilden inzwischen ein flächendeckendes Netz mit der Aufgabe, in ihrem jeweiligen Gebiet einen Beitrag zur regionalen Kulturförderung zu leisten.

Sie nehmen dabei die historischen Wurzeln der alten Landstände auf und bieten den Rahmen für eine wünschenswerte Zusammenarbeit kommunaler und freier kultureller Arbeit. Soweit möglich bieten sie die Voraussetzung für staatliche Förderung, ohne damit weisungsgebunden oder abhängig von einseitigen politischen Vorstellungen zu werden. Unter diesen Voraussetzungen sind sie hervorragend geeignet, auch „private Spenden und zweckgebundene Zuwendungen zur“ Finanzierung bestimmter Projekte zu erhalten.