Adolf Freiherr von Wangenheim – Anmerkungen zum Video „NSDAP in Waake“

Durch systematische Recherchen zur möglichen NSDAP-Vergangenheit von niedersächsischen Landtagsabgeordneten (Klausch 2008, Glienke 2012) ist inzwischen bekannt, dass auch für Adolf Freiherr von Wangenheim eine Mitgliederkarteikarte existierte. Dies konnte mit Einverständnis von A. v. Wangenheims durch eigene Recherchen des Landschaftsverbandes beim Bundesarchiv verifiziert werden. Demnach lassen sich die Ausführungen im Interview folgendermaßen ergänzen:

Die Datierung des Geschilderten in das Jahr 1943 ist offenkundig zu früh, die Begebenheiten haben vermutlich im Februar 1944 stattgefunden, kurz nach dem 17. Geburtstag A. v. Wangenheims. Für 16-jährige war zu keinem Zeitpunkt eine NSDAP-Mitgliedschaft möglich und daher auch nicht beantragbar.

Mit der Anordnung 1/44 des Reichsschatzmeisters der NSDAP vom 7.1.1944 wurde erstmals das Aufnahmealter in die Partei von 18 auf 17 Jahre herabgesetzt. Einheitlich sollte „Führers Geburtstag“ 20.4.1944 als Aufnahmedatum gelten und am 24.2.1944 örtliche Aufnahmefeiern stattfinden. In der Mitgliederkarteikarte von A. v. Wangenheim ist der 21.2.1944 als Datum des Aufnahmeantrags vermerkt (und nicht 21.2.1942, wie irrtümlich bei Klausch 2008 angegeben). Ein Aufnahmeantrag selbst ist – wie in den meisten anderen Fällen auch – nicht erhalten. Der Antrag A. v. Wangenheims war einer von 500 Anträgen aus dem Gau Süd-Hannover-Braunschweig, der am 12.6.1944 mit einer Sammelsendung an das Mitgliedschaftsamt nach München geschickt wurde. Diese Sammelsendung enthielt die Aufnahmeanträge von drei weiteren Jugendlichen aus Waake, zwei davon ebenfalls mit dem Datum 21.2.1944, einer mit dem Datum 16.2.1944.

Da die in der Anordnung 1/44 vorgesehene „Aufnahmefeier“ aus organisatorischen Gründen schwerlich in allen Orten am selben Tag stattfinden konnte, liegt es nahe, dass diese in Waake ein paar Tage früher angesetzt wurde und mit der geschilderten Zusammenkunft im Waaker Gasthaus identisch ist. Dabei kann es sich jedoch nicht um eine Aufnahmefeier im eigentlichen Sinn gehandelt haben, denn hierzu hätte das Aufnahmeverfahren bereits abgeschlossen sein und eine NSDAP-Mitgliedskarte überreicht werden müssen – eine Voraussetzung, die frühestens mit der Einsendung der Antragsunterlagen im Juni 1944 gegeben war. Vermutlich war in jenen Kriegsmonaten der symbolische Akt einer Aufnahme in die NSDAP für die Machthaber wichtiger als der verwaltungsmäßig korrekte Vollzug des Aufnahmeverfahrens, davon zeugen bereits die unrealistischen, rein ideologisch motivierten Terminsetzungen in der Anordnung 1/44. Formal kann also bei jener Zusammenkunft zunächst nicht mehr stattgefunden haben, als die Entgegennahme von Mitgliedsanträgen durch einen Parteifunktionär. Diese Vermutung hält inzwischen auch A. v. Wangenheim für plausibel (div. persönliche Gespräche zwischen 28.4. und 11.8.2017).

Entgegen seiner Annahme im obigen Interviewausschnitt gegen Schluss, dass damit „die Sache erledigt“ gewesen sei, gab es also ein Nachspiel in den Akten. Unklar bleibt, ob A. v. Wangenheim und die anderen Jugendlichen anlässlich der „Aufnahmefeier“ einen schriftlichen Antrag eigenhändig unterschrieben haben. Einerseits ist sich A. v. Wangenheim sicher, dass das weder bei diesem Anlass noch davor oder danach der Fall war (div. persönl. Gespräche, s. o.); andererseits ist bekannt und vielfach belegt, dass das NSDAP-Mitgliedsamt die Aufnahmeanträge prüfte und solche ohne Unterschrift zurückwies. Bei der Sammelsendung vom 12.6.1944 sind keine Beanstandungen vermerkt worden. Ob also die im Interview geschilderten Begebenheiten mit einem eigenhändig unterschriebenem Aufnahmeantrag verbunden waren, Unterschriften der Jugendlichen von Dritten gefälscht wurden oder die NSDAP-interne Antragsprüfung in der Endphase des Krieges „großzügiger“ gehandhabt wurde, wird sich in diesem Fall nicht mehr klären lassen. Naturgemäß lässt sich die Nichtexistenz eines Dokuments nicht beweisen. Soweit feststellbar, kam es aber nicht mehr zu einem Überreichen der NSDAP-Mitgliedskarte, erst hierdurch wurde eine NSDAP-Mitgliedschaft rechtskräftig.

Dass und wie sich A. v. Wangenheim der Rekrutierung zur SS entziehen konnte, schilderte er bei anderer Gelegenheit und ist in einem Bericht des Göttinger Tageblatts vom 7.2.2007 wiedergegeben.

Olaf Martin / Landschaftsverband Südniedersachsen 22.08.2017