Schriftenreihe Band 7


Gerd Busse:
Heimatpflege zwischen Tradition und Moderne

Eine empirische Untersuchung der Praxis der Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger, Vereine, Museen und museumsähnlichen Einrichtungen in Südniedersachsen

Einband des Buches "Heimatpflege zwischen Tradition und Moderne in Südniedersachsen"

420 Seiten, gebunden
ISBN 3-933804-02-7
LVS-Verlag Northeim (Eigenverlag des Landschaftsverbandes Südniedersachsen e. V.) 1999
Preisbindung aufgehoben, Restexemplare sind bei der AG Südnieders. Heimatforschung e. V. für 9,50 € erhältlich

Inhaltsübersicht

Zusammenfassung des Autors

Inhaltsübersicht:

1. Ziel der Studie und Forschungsstand
Stand der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Heimatgedanken und der Heimatbewegung / Empirische Arbeiten zu Bereichen der Heimatpflege / Zielsetzung und Aufbau der Studie

2. Heimatbewegung und Heimatbegriff
Bedeutungswandel des Heimatbegriffs / Renaissance des Heimatgedankens seit den 1970er Jahren

3. Heimatpflege als kulturelles, pädagogisches und politisches Handlungsfeld
Zum Begriff „Heimatpflege“ / Heimatkunde und Heimatforschung / Zur Grundlegung einer zeitgemäßen Heimatpflege / Ziele, Aufgaben und Methoden der Heimatpflege

4. Träger der Heimatpflege
Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger / Heimat-, Geschichts-, Förder-, Verschönerungsvereine, Arbeitskreise und Initiativen / Museen, Heimatstuben, Sammlungen, Bau- und Technikdenkmäler, Gedenkstätten

5. Anlage der Bestandsaufnahme und -analyse
Darstellung des dreidimensionalen Erhebungsdesigns der Untersuchung / Begründung der inhaltlichen und räumlichen Abgrenzung der Untersuchung / Untersuchungsstrategien / Auswahl der Methoden / Recherche, Beobachtung, Kartierung und schriftliche Erfassung von Trägern und Standorten der Heimatpflege / Befragung / Statistische Auswertung / Darstellung der Ergebnisse der Umfrage

6. Die raumzeitliche Ausprägung der Heimatpflege in Südniedersachsen
Anzahl und Verbreitung der Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger, der Vereine, der Museen und museumsähnlichen Einrichtungen

7. Kategorisierung der Handlungsfelder
Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger / Vereinsarten / Arten von Museen und museumsähnlichen Einrichtungen

8. Strukturelle Rahmen- und Arbeitsbedingungen
Arbeitsbedingungen der Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger / Vereinsstrukturen / strukturelle Bedingungen der Museen und museumsähnlichen Einrichtungen

9. Personenbezogene Merkmale der Akteure
Bei Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger / …Vereinen / …Museen und museumsähnliche Einrichtungen

10. Das Selbstverständnis der Befragten
Einschätzung der soziokulturellen Situation / Zielvorstellungen der Befragten

11. Handlungsmuster: Aktivitäten und Inhalte der Heimatpflege
Aufgabenwahrnehmung / Aktivitäten der Heimatpflege / Präsentationen der musealen Einrichtungen / Inhalte der Heimatforschung / Interaktions- und Kommunikationsstrukturen

12. Resonanz und Zufriedenheit
Interesse verschiedener Bevölkerungsgruppen an der Arbeit in den Handlungsfeldern / Besucher der Museen und museumsähnlichen Einrichtungen / Zufriedenheit mit der Arbeit

13. Mängel und Wünsche
Mängel, Probleme und Konflikte / Problemgehalt in typischen Heimatpfleger-, Vereins- und Museumsbiographien / Vorschläge und Wünsche zur Weiterentwicklung der Heimatpflege

14. Orientierungs- und Handlungsmuster – Zusammenfassung
Orientierungs- und Handlungsmuster / Detaillierte Typisierungen / Abschließende Thesen zur Situation der Heimatpflege in Südniedersachsen

15. Empfehlung zur Weiterentwicklung der Heimatpflege in Südniedersachsen
Entwicklung eines Profils der Heimatpflege / Entwicklung einer kulturellen Infrastruktur für die Heimatpflege / Initiierung und Förderung weiterer Aktivitäten

Im Anhang sind die Originale der verwendeten Fragebögen wiedergegeben.

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Befunde aus dem Forschungsprojekt „Heimatpflege in Südniedersachsen“ (von Gerd Busse)

In einem Forschungsprojekt an der Universität Göttingen wurde 1996 mit finanzieller Unterstützung des Landschaftsverbandes Südniedersachsen e.V. die Situation der Heimatpflege und der kulturhistorischen Arbeit in Südniedersachsen untersucht. Diese Studie, die erste dieser Art in der Bundesrepublik Deutschland wird Mitte 1997 abgeschlossen sein und erfaßt mit Hilfe einer schriftlichen Befragung und mit Interviews die Arbeit der Heimatpflegerinnen und Heimatpfleger, der Heimat-, Verschönerungs- und Geschichtsvereine, Geschichtswerkstätten, der Städtischen Museen, Heimatmuseen, Heimatstuben und Denkmalsinitiativen. Ziel dieser flächendeckenden Bestandsaufnahme ist es, die Bedeutung und Praxis dieses kulturellen Bereichs zu erforschen und daraus Vorschläge zu seiner Förderung zu entwickeln.

Insgesamt wurden in den vier südniedersächsischen Landkreisen Göttingen, Holzminden, Northeim und Osterode 237 Heimatpflegerinnen und -pfleger (H), 161 Vereine (V) und 71 Museen und Heimatstuben (M) ermittelt werden, darunter 7 direkt benachbarte Einrichtungen aus angrenzenden Landkreisen. 92 % dieser Grundgesamtheit konnten mit den gewählten Erhebungsmethoden befragt werden.

Die Gruppe der Heimatpflegerinnen und -pfleger zeichnet sich durch ein hohes Alter aus: 30% sind 70 Jahre und älter. Bei den Vereinsvorsitzenden und Museumsleitern sind es 18 % bzw. 14 %. Der Bildungsstand ist in allen drei Gruppen überdurchschnittlich hoch (Hochschulabschluß: H = 37%, V = 39 %, M = 62 %).

Die im Bereich der Heimatpflege tätigen Vereine wurden unter folgenden Kategorien zusammengefaßt: Heimatvereine (65 %), darunter auch die Solling- und Harzclubvereine (21 %), Fördervereine (14 %), Verschönerungsvereine (10 %), Geschichtsvereine, Geschichtswerkstätten, volkskundliche Arbeitskreise (5 %), Verkehrsvereine, Sonstiges (3 %) und Dachverbände (3 %). Alle diese Vereine haben zusammen rund 22.000 Mitglieder. Der Frauenanteil ist mit 46 % überraschend hoch.

Von den in der Region vorhandenen musealen Einrichtungen sind 28 Heimat- und Stadtmuseen (40 %), darunter 8 Städtische Museen, 11 Heimatstuben (15 %), 20 Fachmuseen (28 %), 7 Bau- und Technikdenkmäler (11 %), 3 Gedenkstätten (4 %) und 1 Freilichtmuseum. Südniedersachsen bietet insofern eine recht umfangreiche, vielseitige und in die Region integrierte, ziemlich flächendeckende Museumslandschaft. 550.000 Besucher zählten 1995 die 55 Museen, die hierzu Angaben machten. Die Hälfte der Einrichtungen hat jährlich weniger als 3.000 Besucher. Die Tendenz bei den Besucherzahlen ist im Vergleich zu den Vorjahren leicht ansteigend.

66 % der musealen Einrichtungen und 70 % der Vereine sind erst infolge der neuen Geschichts- und Heimatbewegung seit 1970 gegründet worden, vor allem Anfang der 1980er und 1990er Jahre. Diese Vereinsgründungen treten verstärkt in den Gemeinden auf, in denen sich der Verstädterungspozeß und die damit verbundenen sozialen, kulturellen und räumlichen Veränderungen und Umorientierungen besonders intensiv bemerkbar gemacht haben.

Die räumliche Arbeitssituation der Heimatpflegerinnen und -pfleger zeichnet sich durch ein hohes Maß an Privatheit mit all den damit verbundenen Möglichkeiten und Problemen aus. Eine Mehrheit finanziert die Arbeit selbst. Daher ist es verständlich, daß etwa 80 % dieser Personengruppe damit nicht zufrieden sind. Dagegen sind die Vereine trotz teilweise sehr ungünstiger Bedingungen zufriedener. Obwohl 70 % der Museen finanzielle Zuwendungen der öffentlichen Hand erhalten und von Dritten gesponsert werden, reichen 90 % der Museen die zur Verfügung stehenden Mittel nicht aus. Auch die personelle Situation der Museen, die zur Hälfte hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigen (insg. 100), ist z. T. problematisch. Die Arbeitssituation der Heimatpflege in Südniedersachsen ist darüber hinaus durch zahlreiche weitere Mängel und durch ein nicht unerhebliches Problem- und Konfliktpotential gekennzeichnet. Insbesondere sind die Kommunikations- und Interaktionsstrukturen mit den zuständigen Ämtern und politischen Gremien nur sektoriell, regional und innerörtlich begrenzt entfaltet. Viele Probleme haben daher auch ihre Ursache in mangelnder gegenseitiger Wahrnehmung, Kooperation und Koordination. Problem- und Konfliktfelder finden sich darüber hinaus vor allem bei den Heimatpflegerinnen und -pfleger in dem Bereich „Zerstörung und Erhalt des Lebensraumes“. Hier besteht ein erheblicher Handlungsbedarf der Gemeinden und Landkreise, die Verhältnisse mindestens mittelfristig zu verbessern.

Das Aufgaben- und Selbstverständnis der Befragten läßt erkennen, daß die Heimatpflege in Südniedersachsen sowohl ihren Forschungs- als auch ihren Bildungs- und Gestaltungsauftrag einlösen kann, Heimat als eine lebenswerte Umwelt und als einen mitmenschlichen Lebensraum zu erhalten, zu fördern und das sowohl historisch eingebunden als auch mit dem Blick in die Zukunft.

Die Realisierung dieser Vorstellungen zeigt insgesamt ein vielgestaltiges Bild, jedoch besteht im Einzelfall und in den verschiedenen Handlungsfeldern der Heimatpflege eine weniger differenzierte Situation. Insofern werden manche Zielvorstellungen sicherlich nicht voll eingelöst, weil ihre Umsetzung einen großen Einsatz erfordert und auch Verfahrenskenntnisse voraussetzt, die von den meist ehrenamtlich Tätigen nicht immer erbracht werden können. Das zeigt sich z.B. in einem Übergewicht an informierenden und unterhaltenden Veranstaltungen und einer geringeren Ausprägung von Aktivitäten, die partizipative und interaktive Anbote beinhalten und eine aktive Gestaltung der eigenen Lebenswelt anstreben. Auch werden nicht alle Bevölkerungsgruppen erreicht. Es stimmt nachdenklich, daß die junge und mittlere Generation sowie die ausländischen Mitbürger ein geringes Interesse an den Aktivitäten der Heimatpflege zeigen. Die Beschäftigung mit dem Plattdeutschen müßte wieder stärker Bestandteil des Aufgabenverständnisses werden, wenn nicht das weitere Aussterben dieser Sprache hingenommen werden soll. Positiv zu sehen ist, daß sich die drei Bereiche der Heimatpflege ergänzen: Die Heimatpflegerinnen und -pfleger forschen, informieren und beraten, die Vereine gestalten und veranstalten und die Museen bewahren, informieren über und arrangieren kulturhistorische Bestände. Erfreulicherweise bestehen in der Region für jede Aufgabenart der Heimatpflege gute Beispiele, von denen Innovationen ausgehen könnten. Das hängt jedoch sehr von der Schaffung einer internen Infrastruktur ab, die in allen Landkreisen noch weiterentwickelt werden müßte.

Alle drei Handlungsfelder der Heimatpflege benötigen zu ihrer Förderung, so konnte in der Umfrage festgestellt werden, direkte personelle und materielle Hilfen zu allen ihren Arbeitsbereichen, aber auch Anregung und Anleitung, also Hilfe zur Selbsthilfe. Aus der Liste möglicher Vorschläge werden hier nur einige wichtige vordringliche Maßnahmen genannt:

  • die Einführung des Ehrenamtes einer Heimatpflegerin bzw. eines Heimatpflegers in den Gemeinden, in denen das noch nicht der Fall ist,
  • die Verbesserung des Informationsflusses und der Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Handlungsfeldern sowie den zuständigen kommunalen Ämtern,
  • eine aufsuchende Beratung,
  • eine zentrale Informationsmöglichkeit, von der auch Kooperationsvermittlung und dezentrale Fortbildungsmöglichkeiten ausgehen könnten,
  • die Einrichtung hauptamtlicher oder zunächst ehrenamtlicher Stellen auf Landkreis- und evtl. auch auf Stadt- oder Samtgemeindeebene.

Daneben wünschen sich die in der Heimatpflege tätigen Personen die Bildung von Arbeitskreisen mit Lehrkräften an den Schulen, mit Kulturdezernenten und zuständigen Sachbearbeitern im Denkmal- und Naturschutz, einschlägigen Vereinen und Zweckverbänden bis hin zur Zusammenarbeit mit Instituten und Seminaren der Universität. Fernerhin gilt es, Schritte zu bedenken, die eine bessere Einbindung der in der Region vorhandenen organisatorischen, fachlichen, kommunikativen und künstlerischen Kompetenzen anstreben.

Aus alledem kann gefolgert werden, daß es sich bei der Heimatpflege um einen wichtigen Bestandteil der kommunalen Kulturarbeit handelt, der es verdient, weiterentwickelt zu werden.

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